Was bedeutet Fasten im Alevitentum?
Remzi KAPTAN
Fast in allen Glaubensrichtungen ist das Fasten vorhanden, sie gilt als eines der wichtigsten Regeln bzw. Bestandteile des Gebetes. Auch im Alevitentum ist das Fasten ein bedeutendes Element. Im Alevitentum gibt es die Fastenzeit „Muharrem“ (Muharram), bekannt auch unter „Oniki Imam“ (12 Imame) und das Hizir Fasten. Das Muharrem Fasten beginnt jedes Jahr am 21. Tag nach dem Opferfesttag und dauert 12 Tage an. Das Hizir Fasten geht drei Tage, dieses beginnt in den meisten Regionen am 13. Februar und endet am 15. Februar. In manchen Regionen weicht es jedoch von diesen Zeiten ab.
Das Fasten bringt nicht nur den Körper wieder in Balance, es hat eine reinigende Funktion auf den Körper. Durch das Fasten kann man die Kontrolle bzw. die Beherrschung über den eigenen Körper erlernen. Es dient damit zusätzlich den seelischen Zustand des Menschen zu verstärken, was schließlich nur mit der Beherrschung der ganzen Körper (-funktionen) möglich ist. In jeder anderen Religion wird in unterschiedlicher Art und Weise gefastet. In der Regel wird der Verzicht auf die Nahrungs-, Trinkzufuhr( komplett oder teilweise) und die Enthaltung der Triebe über einen bestimmten Zeitraum gefordert.
Das Fasten im Alevitentum wird sowohl in der Fastenzeit Muharrem als auch beim Hizir-Fasten in dieser Form ausgeübt. In beiden Fastenzeiten verzichtet man -meist ab Mitternacht- bis zum Fastenbrechen komplett auf Speisen und Getränke. Nach dem Fastenbrechen wird beim Hizir Fasten bis zur Mitternacht wieder ganz normal gegessen. Im Muharrem Fasten wird jedoch bis zur Mitternacht nur noch teilweise gefastet, d.h. das Essen und Trinken ist erlaubt –vorausgesetzt das Essen ist vegetarisch und es handelt sich nicht um reines Trinkwasser- den zu dieser Zeit ist das oberste Gebot keinem Lebewesen Leid zuzufügen und auf reines Wasser zu verzichten. Da Imam Hüseyin und seine Angehörige in der Wüste von Kerbela verdurstet wurden, ist der Verzehr dieser Lebensmittel für die 12 Tage zu vermeiden. Weitere wichtige Regeln, die in dieser Zeit eingehalten werden sollten sind: Keine Feierlichkeiten, Streitigkeiten und Geschlechtsverkehr, da es sich hierbei um ein Trauerfasten handelt.
Warum Fasten die Aleviten im Monat Muharrem?
Das Muharrem Fasten im Alevitentum hat -neben den oben erwähnten Gründen- auch einen geschichtlichen Hintergrund. Nach der alevitischen Lehre (Mythologie) wurde dieses Fasten schon seit dem ersten Propheten (Hz. Adam) bis zum Letzten Propheten (Hz. Muhammed) ausgeübt.
Heute wird als Ausdruck der Trauer um Hz. Hüseyin –dem Enkelkind des Propheten Hz. Muhammed- gefastet. Dieser wurde in Kerbela (im heutigen Irak) von dem Herrscher der Umayyaden Dynastie (Yezit) im Jahre 680 n. Chr. auf grausame Weise ermordet. Durch das Trauerfasten versuchen die Aleviten das Leid Hz. Hüseyin´s nachzuempfinden.
Die Fastenzeit ist ein Zeitraum, ein Prozess in dem der Mensch in sich kehrt und eine Rechenschaft mit sich selbst ablegt. Denn nur dadurch kann ein Mensch sich selbst wirklich erkennen /verwirklichen bzw. zur Selbsterkenntnis gelangen.
Imam Hüseyin hat in Kerbela ein Kampf gegen die Ungerechtigkeit und das Böse geführt. Deshalb symbolisiert das Muharrem Fasten in seinem Namen die Verehrung des Guten, der humanistischen Werte und der Gerechtigkeit, wobei es den Bösen verdammt.
Die Bedeutung der Aschura (Süßspeise) für die Aleviten
Das Wort Aşure (Aschura) kommt aus dem arabischen und bedeutet Zehn. Damit ist auch der zehnte Tag des islamischen Monats Muharrem gemeint. Für die Aleviten und Schiiten ist es der Gedenktag an Imam Hüseyins Tod in Kerbela, daher ist dies ein bedeutender Tag für die Aleviten, an dem sie die Süßspeise Aschura zubereiten.
Es gibt Erzählungen darüber, dass auch viele vorislamische Völker (wie z.B. die Israeliten) an diesem Tag gefastet haben. Man sagt, dass an diesem Tag auch viele weltverändernde Ereignisse geschahen, die vor allem mit der Rettung vieler Propheten von (in?) schwierigen Situationen verbunden werden. Nach alevitischer Lehre geht eines dieser Mythologien sogar auf Noah zurück. Man glaubt, dass Noah von der großen Sintflut an diesem Tag gerettet wurde. Worauf er zum ersten Mal die Suppe Aschura mit den letzten Resten seiner Vorräte als Dankbarkeit zubereitet habe.
Aschura ist eine Süßspeise, die heutzutage mehr im Mittleren Osten und Anatolien nach dem Muharrem Fasten zubereitet wird. Als Symbol des Gedenkens an die 12 Imame enthält es mindestens 12 Zutaten wie z. B. Weizen, Bohnen, getrocknete Feigen, Aprikosen, Wallnüsse etc. Die Süßspeise wird als Zeichen der Dankbarkeit und Nächstenliebe unter den Nachbarn und Bekannten verteilt.
Aschura symbolisiert bei den Aleviten sowohl die Verbundenheit an Imam Hüseyin, an Ehlibeyt (die Familie des Propheten Muhammed), an die 12 Imame als auch das Gefühl der Brüderlichkeit und den Frieden. Ausserdem kommt noch eine weitere besonders wichtige Bedeutung hinzu. Asura dient zum Ausdruck der Dankbarkeit, da Zeynel Abidin, der Sohn von Imam Hüseyin (Urenkel des Propheten) trotz seiner Krankheit in der Schlacht in Kerbela, in der sein Vater gestorben war, überlebt hatte. Durch ihn konnten die Nachfahren (12 Imame) des Propheten weitergeführt werden.
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